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Titel
Pierre Béguin. Journaliste et témoin de son temps. Un demi-siècle d’histoire de la Suisse 1930–1980


Herausgeber
Ouvrage collectif
Erschienen
Hauterive (NE) 2007: Éditions Attinger
Anzahl Seiten
331 S., ill.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Benedikt Hauser

Es muss nicht immer gleich ein Bundesrat, ein prominenter Unternehmer oder ein bekannter Künstler sein: Wie die hier zu besprechende Publikation zeigt, finden sich auch in der Schweizer Medienszene Persönlichkeiten, deren Leben und Tätigkeiten reichhaltigen Stoff für historische Betrachtungen zu bieten vermögen: Das Buch enthält 17 Beiträge aus der Feder von Journalisten, Politikern und Historikern, die schildern, wer Pierre Béguin (1903–1978) war, wie er die Pressewelt der Schweiz nachhaltig prägte und warum er ebenfalls in die Geschichtsschreibung des Landes eingegangen ist. Es stützt sich dabei auf eine breit fundierte Quellenbasis mit Dokumenten und Zeugnissen aus öffentlichen, Privat- und Unternehmensarchiven.

Béguin wuchs als Sohn einer Apothekerfamilie in La Chaux-de-Fonds auf und absolvierte ein Jus-Studium in Genf, nach dessen Abschluss er sich für den Journalismus entschied und Bundeshauskorrespondent wurde: Zunächst für die Zeitung La Suisse und später für das Journal de Genève. 1946 wechselte er zur Gazette de Lausanne, dem Sprachrohr der Partei der Waadtländer Liberalen, wo er die Chefredaktion übernahm. Entgegen dem, was der Titel des Buches suggeriert, war Béguin nicht nur journalistisch tätig. So leistete er während der Zeit des Zweiten Weltkriegs militärische Einsätze bei der Pressezensur, handelte später Gesamtarbeitsverträge für Journalisten aus und nahm Einsitz im Verwaltungsrat der Schweizerischen Depeschenagentur, den er von 1970 bis 1977 präsidierte. Zu seiner grossen Bekanntheit trugen ferner seine viel beachteten Auftritte als Radio- und TV-Kommentator bei. In seiner Eigenschaft als Chefredaktor verstand er es zudem hervorragend, die Mitarbeitenden von Druck, Satz und Redaktion zu Hochleistungen anzuspornen sowie junge Schreib- und Recherchiertalente nachzuziehen, wodurch die Gazette de Lausanne zur landesweit und international renommierten Zeitung und zur Kaderschmiede par excellence für den hochstehenden welschen Journalismus wurde.

Was Béguins politische Einstellungen anbetrifft, so war er zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit klar dem rechten Spektrum zuzuordnen. Er unterhielt enge Kontakte zu Bundesrat Jean-Marie Musy, für dessen virulenten Antibolschewismus und ständestaatlichen Ideen er viel Sympathie aufbrachte. Mit der Zeit entwickelte sich Béguin dann jedoch zum Kommentator mit eigenem Profil, der zum exklusiven Kreis der bundesbernischen Meinungsmacher zählte und dessen treffsicheres Urteil man landesweit respektierte. Konflikte blieben Béguin nicht erspart: Zweimal kam es zur offenen Konfrontation mit dem Verwaltungsrat der Gazette de Lausanne, deren Präsident 1963 gegen den ausdrücklichen Willen des Chefredaktors eine Delegation von Waadtländer Industriellen empfing, denen die Eigenständigkeit der Redaktion ein Dorn im Auge war und die der Zeitung vorgeworfen hatten, dass sie der Verbreitung des Kommunismus Vorschub leiste, und ihr gleichzeitig ihre Berichterstattung über die ausländischen Saisonaufenthalter in der Schweiz ankreideten. Inseratboykotte und weitere Nadelstiche bewirkten, dass Béguin schliesslich das Handtuch warf und die Gazette 1966 verliess. Dem schon damals nur schlecht rentierenden Blatt sollte dies freilich wenig helfen. Nach einer langen Agonie wurde es vom Journal de Genève übernommen, das – wie mittlerweile auch die Partei der welschen Liberalen selbst – ebenfalls von der Bildfläche verschwunden ist, nachdem es 1998 mit dem Nouveau Quotidien zur Zeitung Le Temps fusionierte.

Zum Schluss noch ein kurzes Wort zum heute weitgehend vergessenen, früher jedoch viel beachteten Buch mit dem Titel Balcon sur l’Europe, das Béguin 1951 über die Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs publizierte. Es handelt sich um ein Auftragswerk, das auf Initiative des vormaligen Chefs des persönlichen Stabs von General Guisan und des Leiters des Neuenburger Verlagshauses La Bâconnière zustande gekommen war. Lohnt es sich, die in nur kurzer Zeit geschriebenen und sich an ein breites Publikum richtenden rund 200 Seiten heute noch zu lesen? Ja, sehr wohl, auch wenn es dem Text, der sich insgesamt wohltuend von der unkritischen Rechtfertigungsliteratur der unmittelbaren Nachkriegszeit abhebt, nicht an Widersprüchlichkeiten, einseitigen Betrachtungsweisen und Auslassungen mangelt. So stört es Béguin ganz offensichtlich nicht, auf die Drehscheibenfunktion des Schweizer Finanzplatzes für den Raubgoldhandel hinzuweisen und ein paar Seiten später, ausgehend vom Titel des Buches, als Fazit nochmals zu betonen, dass die Schweiz am Zweiten Weltkrieg unbeteiligt war und ihn von der Zuschauertribüne aus an sich vorbeiziehen sah, und sicher ist es auch nicht zynisch oder ironisch gemeint, wenn die Schilderung der Schweizer Flüchtlingspolitik unter den Zwischentitel der Gastfreundschaft (hospitalité) gestellt wird. Und ist zu lesen, dass Mussolini mit der Zeit nur noch von einigen wenigen gescheiterten Existenzen ernst genommen worden ist, so wird dabei das schon immer bestens bekannte Faktum ausgeblendet, dass der Duce sehr wohl auch bei prominenten Exponenten des Schweizer Polit- und Wirtschaftsestablishments ein hohes Ansehen genoss, und dies über den Kriegseintritt Italiens von Juni 1940 hinaus.

Béguins Buch mit solchen Hinweisen als veraltet und entbehrlich zu bezeichnen, wäre kurzschlüssig. Es ist ein wichtiges Zeugnis helvetischer Selbstwahrnehmung. Setzt man es zudem zum heutigen Forschungsstand in Bezug, so zeigt sich ebenfalls, dass die Schweizer Geschichtsschreibung sehr wohl die Fähigkeit besitzt, sich weiterzuentwickeln und für neue Fragestellungen zu öffnen.

Zitierweise:
Benedikt Hauser: Rezension zu: Pierre Béguin. Journaliste et témoin de son temps. Un demi-siècle d’histoire de la Suisse 1930–1980. Hauterive, Gilles Attinger, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 1, 2010, S. 155-156.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 60 Nr. 1, 2010, S. 155-156.

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